Die fünfte Jahreszeit
Eines Morgens riechst du den Herbst.
Es ist
noch nicht kalt; es ist nicht windig;
es hat sich eigentlich gar nichts
geändert – und doch alles.
Es geht wie ein Knack durch die Luft – es ist
etwas geschehen;
so lange hat sich der Kubus noch gehalten, er hat
geschwankt . . . ,
na . . . na . . . , und nun ist er auf die andere Seite
gefallen.
Noch ist alles wie gestern: die Blätter, die Bäume, die Sträucher
. . .
aber nun ist alles anders.
Das Licht ist hell, Spinnenfäden
schwimmen durch die Luft,
alles hat sich einen Ruck gegeben,
dahin der
Zauber, der Bann ist gebrochen –
nun geht es in einen klaren Herbst.
Wie
viele hast du? Dies ist einer davon.
Das Wunder hat vielleicht vier Tage
gedauert oder fünf,
und du hast gewünscht, es solle nie, nie aufhören.
Es
ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden –
es ist nicht
der Johannistrieb, es ist etwas andres.
Es ist: optimistische Todesahnung,
eine fröhliche Erkenntnis des Endes.
Spätsommer, Frühherbst und das, was
zwischen ihnen beiden liegt.
Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es
ist die fünfte und schönste
Jahreszeit.
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Kurt Tucholsky
mit liebem Gruss
Euer goldwerk.at